Fachärztin für Hautkrankheiten

Anmerkungen zu unserem Gesundheitssystem

Die in Deutschland für „Kassenpatienten“ (also Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen) geltenden Abrechnungssysteme für medizinische Leistungen im Krankenhaus und in der Arztpraxis belohnen und fördern – vereinfacht (und plakativ) gesagt – zwei Dinge: Erstens: einen hohen Patienten-„Durchlauf“ und zweitens „technische“ Leistungen, also z. B. Operationen…

In den Krankenhäusern müssen die Ärzte auf Druck ihrer Verwaltungen (die wiederum den auf dem Markt agierenden Betreibern unterstehen) möglichst viele stationäre Patienten „durchschleusen“, wobei bestimmte Diagnosen, z. B. eben solche, die einer Operation bedürfen, mehr Gewinn bringen als andere.

Auch im ambulanten System der „Kassenärzte“ (der Vertragsärzte der gesetzlichen Krankenkassen), insbesondere bei uns Hautärzten, heißt das Zauberwort „Fallzahl“. Es setzt dem Arzt Anreize, einen Patienten genau einmal im Quartal kurz zu sehen, es belohnt und produziert damit eine Fließbandmedizin, ein Abfertigen von möglichst vielen (einmal im Quartal erscheinenden) Patienten.

Gesprächszeit mit dem Patienten ist in den Augen derer, die in unserem Gesundheitssystem das Sagen haben – Betriebswirtschaftler und Verwalter – „verschwendete“ Zeit, denn das Patienten-„Fließband stockt“. So arbeiten viele Ärzte oft unter Zeitdruck.

Sie haben als Patient sicherlich auch schon erlebt, dass Ihr Arzt nicht ausreichend Zeit hatte, Ihnen in Ruhe zuzuhören und all Ihre Fragen zu beantworten, Sie vielleicht nur hastig oder gar nicht körperlich untersucht hat, sondern zum nächsten Patienten hetzen musste…, dass oft nur schnell die Symptome von Krankheiten behandelt und viel zu selten die Ursachen und Zusammenhänge aufgezeigt und besprochen wurden.

Diese Flüchtigkeit und Getriebenheit in der Arzt-Patienten-Begegnung lässt den Patienten mit seinen Ängsten allein, produziert Missverständnisse und sinnlose Behandlungen. Denn nur, wenn der Patient seine Erkrankung und die Therapie versteht und Entscheidungen mitträgt, wird er voll motiviert sein und Verantwortung für seinen Körper und seine Heilung übernehmen. Andernfalls landet das schnell rezeptierte Medikament nicht selten im Müll, und der Patient läuft zum nächsten Arzt.

Leider kann Ihr Arzt oft nicht anders handeln, er ist in diesem Organisations- und Abrechnungssystem gefangen, in dem Patient und Arzt am Ende oft unzufrieden sind.

Dieses System ist krank im Sinne von absurd, und es macht auch tatsächlich krank: Es gefährdet die Gesundheit beider Seiten: In der Patientenversorgung wächst die Gefahr, dass Gründlichkeit und Sorgfalt auf der Strecke bleiben und mehr Versäumnisse und Fehler passieren und somit Menschen zu Schaden kommen. „Der größte Feind der Qualität ist die Eile.“ – Zitat von Henry Ford. Auf der anderen Seite befinden sich die Ärzte und das Assistenz- und Pflegepersonal in einem sich immer schneller drehenden kraftraubenden „Hamsterrad“, das diesen Menschen vielfach die Freude an ihrem Beruf nimmt, sie erschöpft, verschleißt… und krank macht.

Vorwerfen lassen müssen wir Ärzte uns allerdings, dass wir es nicht schaffen – z. B. auch mittels unserer Ärzteorganisationen – uns gegen diese Missstände zu wehren, dagegen, dass Nicht-Ärzte in dieser Form und diesem Ausmaß über unser ärztliches Handeln bestimmen, entgegen unserer Berufsordnung, und dass wir den Wert unserer ärztlichen Leistung nicht verteidigen.

Aber auch unsere gesamte Gesellschaft muss sich fragen, was für ein Gesundheitssystem, welche Art von ärztlicher und medizinischer Leistung sie haben und auch wertschätzen und honorieren möchte: Nur immer mehr technisierte Fließbandversorgung und Symptom-Reparatur, mit dem Arzt in der Rolle des Erfüllungsgehilfen, oder vielleicht doch auch ärztliche Kunst, menschliche und individuelle Medizin und Behandlung von Krankheitsursachen?